4  Argument und Struktur

“planning must be a deliberate prelude to writing.” (Strunk 2000, 15)

Keywords
  • Argument
  • Behauptung, Begründung, Beleg
  • Absatz
  • topic sentence
  • parallel construction
  • Storyboard
  • Outline

4.1 Überblick

Im Zentrum des vorigen Kapitels stand die Frage, wie man von einem Thema über ein Problem/Puzzle zu einem Erkenntnisinteresse in Form einer Forschungsfrage kommt und wie man dieses Erkenntnisinteresse anschließend beantwortet. Ziel dieses Kapitels ist es, den nächsten Schritt in Richtung einer wissenschaftlichen Arbeit zu machen. Dazu werde ich erstens zeigen, was eine Argumentation ausmacht und aus welchen Elementen sich ein Argument zusammensetzt. Zweitens werde ich darlegen, wie Absätze aufgebaut sind und welche Rolle hier der “topic sentence” spielt. Und drittens erläutere ich, wie man eine Arbeit mit Hilfe eines Storyboards und eines Outlines strukturiert. Alle diese Punkte werde ich durch konkrete Beispiele direkt aus der politikwissenschaftlichen Forschung illustrieren.

4.2 Argument

Wissenschaftliches Schreiben ist nichts anderes als eine fiktive Konversation zwischen Autor:in und Leser:in eines Textes (Turabian 2007, 49). Ziel dieser Konversation ist es, die Leser:innen von der Richtigkeit der eigenen Darstellung (das heißt der Beantwortung des zuvor dargelegten Erkenntnisinteresses) zu überzeugen. Das Argument bzw. die Argumente sind in dieser fiktiven Konversation jene Elemente, die dabei die Überzeugungsarbeit leisten (O’Leary 2014, 331).

Argumente kommen auf allen Ebenen eines wissenschaftlichen Textes zum Einsatz – der Makro-, der Meso- und der Mikroebene (siehe Abbildung 4.1). Unter einem Argument auf der Makroebene versteht man die generelle Kernbotschaft eines Werkes bzw. Aufsatzes. Damit ist de facto die Hauptthese gemeint, die das Ergebnis eines Textes wiedergibt. Ein Argument auf der Mesoebene meint hingegen die Kernbotschaft eines Kapitels oder Abschnittes. Jedes Kapitel muss eine in sich geschlossene Einheit eines Textes sein und genauso wie der Text an sich auch mindestens eine Kernbotschaft aufweisen. Argumente auf der Mesoebene sind notwendig, um die These, das heißt das Argument auf der Makroebene, zu stützen. Argumente auf der Mikroebene wiederum stützen die Kernbotschaft auf Ebene der Kapitel und tragen somit über Umwege zur Stützung des Arguments auf der Makroebene bei. Argumente auf der Mikroebene finden sich in Form von Absätzen bzw. in Gruppen von Absätzen wieder.

Abbildung 4.1: Makro-, Meso- und Mikroebene von Argumenten

Ein Argument setzt sich aus drei Elementen zusammen (Turabian 2007, 51): einer Behauptung (claim), einer Begründung (reason) und Belegen (evidence). Eine Behauptung ist eine Aussage, bei der eine Annahme getroffen wird, die entweder richtig oder falsch sein kann (Booth, Colomb, und Williams 2008, 111). Wie ich bereits im Kapitel “Was ist Politikwissenschaft?” argumentiert habe, zeichnet sich Wissenschaft nicht durch wahllos geäußerte Behauptungen aus, sondern durch deren Begründung und Belegung mit Fakten. Es braucht daher im zweiten Schritt neben einer Behauptung auch eine Begründung, die plausibel darlegt, warum die Behauptung richtig ist. Begründungen sind an sich aber von abstrakter Natur (Turabian 2007, 52) und müssen im letzten Schritt durch Belege gestützt werden. Belege sind, wie Booth es beschreibt, “what you and your readers can see, touch, taste, smell, or hear (or is accepted by everyone as a remembered fact”) (Booth, Colomb, und Williams 2008, 111). Damit sind also entweder empirische Fakten oder allgemein gültiges Wissen gemeint.

Der Aufbau eines Arguments mit diesen drei Elementen – Behauptung, Begründung und Beleg – kann anhand des folgenden Absatzes vielleicht besser nachvollzogen werden:

“Maghrebi dissatisfaction with political and economic development has serious implications for Europe. North Africa becomes a ‘producer [and exporter] of terrorists’ (Alonso and Garcıa Rey 2007, p. 579). These movements and organisations also converge on aims and strategies of the global Salafi jihad that treats Europe as a source and accomplice in this political suppression and economic stagnation (Githens-Mazer 2008, p. 1026).” (Eder 2011, 438)

Dieser Absatz beginnt mit einer Behauptung, nämlich jener, dass die Unzufriedenheit im Maghreb über die politische und wirtschaftliche Entwicklung schwerwiegende Auswirkungen auf Europa hat (“Maghrebi dissatisfaction with political and economic development has serious implications for Europe.”). Eine solche Behauptung alleine reicht nicht aus, um wissenschaftlich argumentieren zu können. Sie kann richtig oder falsch sein. Um den “Wahrheitsgehalt” dieser Behauptung daher zu unterstreichen, braucht es eine Begründung, warum dies so ist. In diesem Fall werden sogar zwei Begründungen geliefert, warum Entwicklungen im Maghreb zu einem Probelm für Europa werden können. Erstens, entwickelt sich Nord-Afrika zu einem “Erzeuger” und “Exporteur” von Terrorismus (“North Africa becomes a ‘producer [and exporter] of terrorists’”). Und zweitens beginnen sich diese terroristischen Bewegungen global zu vernetzen und werden damit zu einem Sicherheitsrisiko für die EU (“These movements and organisations also converge on aims and strategies of the global Salafi jihad that treats Europe as a source and accomplice in this political suppression and economic stagnation”). Beide Begründungen werden wiederum durch Belege (“Alonso and Garcıa Rey 2007, p. 579” und “Githens-Mazer 2008, p. 1026”) untermauert, womit das Argument (eines auf der Mikroebene) abgeschlossen ist.

Auch das folgende Beispiel aus dem Beitrag von Lake (2010/2011, 7) zeigt sehr schön, wie man ein Argument (auch hier wieder auf der Mikroebene) aufbauen kann:

“The Iraq War has been one of the most significant events in world politics since the end of the Cold War. One of the first preventive wars in history, it cost trillions of dollars, resulted in more than 4,500 U.S. and coalition casualties (to date), caused enormous suffering in Iraq, and may have spurred greater anti-Americanism in the Middle East even while reducing potential threats to the United States and its allies. Yet, despite its profound importance, the causes of the war have received little sustained analysis from scholars of international relations.1

Lake beginnt sein Argument mit der Behauptung “The Iraq War has been one of the most significant events in world politics since the end of the Cold War.” Als Begründung für diese Behauptung führt er gleich mehrere Faktoren an: “One of the first preventive wars in history, it cost trillions of dollars, resulted in more than 4,500 U.S. and coalition casualties (to date), caused enormous suffering in Iraq, and may have spurred greater anti-Americanism in the Middle East even while reducing potential threats to the United States and its allies.” Die Belege für diese Begründungen kommen etwas später in Form einer Fussnote (1), in der er mehrere Beiträge zu diesem Thema nennt: “Positive theories of the Iraq War are few. See Daniel Byman,”An Autopsy of the Iraq Debacle: Failure or Bridge Too Far?” Security Studies, Vol. 17, No. 4 (October 2008), pp. 599–643; Andrew Flibbert, “The Road to Baghdad: Ideas and Intellectuals in Explanations of the Iraq War,” Security Studies, Vol. 15, No. 2 (April–June 2006), pp. 310–352; Jacek Kugler, Ronald L. Tammen, and Brian Efird, “Integrating Theory and Policy: Global Implications of the War in Iraq,” International Studies Review, Vol. 6, No. 4 (December 2004), pp. 163–179; and David Mitchell and Tansa George Massoud, “Anatomy of Failure: Bush’s Decision-Making Process and the Iraq War,” Foreign Policy Analysis, Vol. 5, No. 3 (July 2009), pp. 265–286.”

Auch in diesem Fall greift der Autor auf die drei Elemente von Behauptung, Begründung und Beleg zurück, um sein Argument dem/der Leser:in zu präsentieren. Lakes Argumentation ist dazu gedacht, ein Puzzle darzulegen. Mit dem Satz “Yet, despite its profound importance, the causes of the war have received little sustained analysis from scholars of international relations.” weißt der Autor nämlich auf eine Forschungslücke und einen Widerspruch hin, den es zu erforschen gilt. Er leitet daher auch sein Erkenntnisinteresse ab, das er zwar nicht in Form einer Forschungsfrage formuliert, aber trotzdem eindeutig wie folgt darlegt: “In this article, I assess a leading academic theory of conflict–the rationalist approach to war or, simply, bargaining theory–as one possible explanation of the Iraq War.”

Lakes Argumentation ist in diesem Absatz also darauf ausgerichtet, auf einen Widerspruch hinzudeuten, eine Forschungslücke aufzutun und daraus ein Erkenntnisinteresse abzuleiten.

4.3 Absatz

Im vorigen Unterkapitel wurde deutlich, dass eine Argumentation einem strukturierten Aufbau folgt und aus bestimmten Elementen (eben der Behauputung, der Begründung und aus Belegen) besteht. Eine ganz zentrale Rolle, um Struktur in eine wissenschaftliche Arbeit zu bringen, spielen Absätze. Absätze sind “Sinneinheiten” oder “complete units of meanings” wie es Reid (2010, 141) beschreibt. Absätze sind deshalb Sinneinheiten, weil sie kohärent und in sich logisch konsistent sein müssen. Das heißt konkret, dass die Teile eines Absatzes (die Sätze) logisch aufeinander aufbauen und eine zentrale Erkenntnis transportieren sollten (Reid 2010, 143).

Ein Absatz ist dann ein guter Absatz, wenn es gelingt, ihm eine klare Struktur zu verleihen, wenn er logisch kohärent ist und eine zentrale Botschaft vermittelt. Um das zu erreichen, empfiehlt sich die Verwendung eines topic sentence am Beginn eines jeden Absatzes. Reid (2010, 144) definiert einen solchen “topic sentence” wie folgt:

“The topic sentence is in essence the writer’s contract with the reader that the paragraph will discuss, include, explore, or otherwise cover what the topic sentence promised it would—and not suddenly start discussing something else.”

Ein topic sentence gibt den groben Rahmen eines Absatzes vor. Nach dem Lesen dieses Satzes wissen Leser:innen in groben Zügen, was auf sie in diesem Absatz zukommt. Aufgabe der darauf folgenden Sätze ist es, die im topic sentence erzeugte Erwartungshaltung zu erfüllen.

Ein weiteres wichtiges Element eines guten Absatzes ist seine Länge. Absätze sind natürliche Orientierungspunkte für Leser:innen. Sie vermitteln jeweils einen zentralen Gedankengang und lassen Leser:innen an ihrem Ende eine gedankliche Pause. Das heißt, Absätze helfen Leser:innen wissenschaftiche Beiträge dahingehend zu verarbeiten, dass sie signalisieren, wo ein Gedankengang beginnt und wo er endet. Es empfiehlt sich daher generell, sich bei der Länge eines Absatzes an einem Umfang von ca. 10-15 (Reid (2010, 146) empfiehlt 10-12) Zeilen zu orientieren. Diese Vorgabe ist nur ein grober Rahmen. Natürlich kann es vorkommen, dass man für manche Gedankengänge auch einmal weniger als zehn Zeilen braucht, um sie zu vermitteln. Sollte es allerdings der Fall sein, dass ein Gedankengang mehr als 15 Zeilen braucht, dann empfiehlt es sich, diesen Gedankengang in kleinere Elemente zu unterteilen und ihn auf mehrere Absätze aufzuteilen.

Gute Absätze zeichnen sich aber nicht nur durch einen rahmenden “topic sentence” und eine gewisse Länge aus. Auch die Art und Weise, wie sie strukturiert und komponiert werden, ist entscheidend dafür, dass Leser:innen den Inhalt dieser Absätze schneller begreifen können. Um das zu erreichen, kann die Technik des “parallel writing” bzw. der “parallel construction” angewendet werden. Strunk (2000, 26) definiert diese Technik wie folgt:

“This principle … requires that expressions similar in content and function be outwardly similar. The likeness of the form enables the reader to recognize more readily the likeness of content and function.”

Was Strunk damit sagen will, ist folgendes: wenn in Absätzen ähnliche Inhalte transportiert werden sollen, oder wenn diese Absätze ein ähnliches Ziel verfolgen, dann sollten sie auch nach dem gleichen Muster aufgebaut werden. Ein gleiches Muster hilft Leser:innen einerseits nämlich unbewusst zu erkennen, dass dieses Absätze ursächlich zusammenhängen. Andererseits helfen sie Leser:innen die Inhalte dieser Absätze leichter und schneller zu verstehen, weil sie sich im Aufbau der Argumentation ähneln.

Um diese drei Punkte (topic sentence, Länge eines Absatzes und parallel construction/writing) anhand eines Beispiels zu demonstrieren, habe ich die folgenden beiden Absätze aus der Einleitung des Aufsatzes “The Nuclear Taboo: The United States and the Normative Basis of Nuclear Non-Use” von Nina Tannenwald (1999, 433–34) ausgewählt:

This investigation is motivated by several empirical anomalies in the conventional account—deterrence—of the non-use of nuclear weapons since 1945. First is the non-use of nuclear weapons in cases where there was no fear of nuclear retaliation, that is, where the adversary could not retaliate in kind. This anomaly includes the first ten years or so of the nuclear era, when the United States possessed first an absolute nuclear monopoly and then an overwhelming nuclear advantage over the Soviet Union. It also includes non-use by the United States in Vietnam (where the United States dropped tonnage equivalent to dozens of Hiroshima bombs) and in the 1991 Persian weapons in the Falklands, nor for why the Soviet Union did not resort to nuclear weapons to avoid defeat in Afghanistan.

A second anomaly emerges when we turn the question around and ask why nuclear weapons, supposedly fearsome deterrent weapons, have not deterred attacks by non-nuclear states against nuclear states. China attacked U.S. forces in the Korean War, North Vietnam attacked U.S. forces in the Vietnam War, Argentina attacked Britain in the Falklands in 1982, and Iraq attacked U.S. forces and Israel in the 1991 Persian Gulf War. Knowledge of a widespread normative opprobrium against nuclear use may have strengthened expectations of non-nuclear states that nuclear weapons would not be used against them. A third anomaly is that, as Harald Müller has pointed out, the security situation of small, non-nuclear states has not been rendered as perilous in the nuclear age as a realist picture of a predatory anarchy would predict, even though they are completely defenseless against nuclear attack and could not retaliate in kind.2 Most non-nuclear states do not live daily in a nuclear security dilemma. Finally, if deterrence is all that matters, then why have so many states not developed nuclear weapons when they could have done so? Realist arguments that U.S. security guarantees extend the U.S. nuclear umbrella to these non-nuclear states are inadequate, since some of these non-nuclear (but nuclear-capable) states lack U.S. guarantees.3

Die blau markierten Teile dieser Absätze heben jene Elemente hervor, die zum Verständis ihrer Struktur essentiell sind. Der erste Satz (“This investigation is motivated by several empirical anomalies in the conventional account—deterrence—of the non-use of nuclear weapons since 1945.”) ist ein klassischer topic sentence, weil er bei den Leser:innen die Erwartungshaltung erzeugt, dass es anschließend eben um die “empirical anomalies” geht, von denen hier gesprochen wird. Da es sich jedoch um mehrere Anomalien handelt, können diese nicht ausreichend in einem Absatz abgehandelt werden. Um die Obergrenze von 10-15 Zeilen pro Absatz einhalten zu können, werden zwei Absätze verwendet, die aber in sich zusammenhängen. Das heißt, der topic sentence rahmt nicht nur den ersten, sondern auch den zweiten Absatz ein. Noch besser wäre es natürlich gewesen, wenn die Autorin nicht unbestimmt von “several” gesprochen, sondern die Anzahl dieser Anomalien klar festgelegt und die Zahl vier genannt hätte. Das hätte den Leser:innen noch mehr Struktur gegeben.

Was bei diesen beiden Absätzen zudem beachtenswert ist, ist die parallel construction der Absätze. Die Autorin beginnt jede der Anomalien mit einer Aufzählung (“First”, “Second” und “Third”) und beendet diese Aufzählung dann mit “Finally”. Damit gibt sie den Leser:innen unmissverständlich zu verstehen, dass nach dieser finalen Anomalie keine weitere mehr zu erwarten ist. Hätte sie also von Beginn an von vier Anomalien gesprochen, hätten die Leser:innen sich diese Zahl ohnehin nicht merken müssen, weil die letzte Anomalie mit “Finally” eingeleitet wird.

Darüber hinaus zeigt sich diese Technik der paralell construction auch in dem Umstand, wie sie die einzelnen Anomalien präsentiert. Sie tut das nämlich de facto auf die immer gleich Weise. Zunächst leitet sie die Anomalie mit einer Aufzählung ein, anschließend beschreibt sie, was unter dieser Anomalie zu verstehen ist, um dann abschließend Beispiele aus der Geschichte zu geben, für welche Fälle diese Anomalie zutrifft. Mit dieser Technik hilft die Autorin den Leser:innen besser zu verstehen, was die essentiellen Punkte bei diesen Anomalien sind.

Dieses Beispiel unterstreicht sehr nachdrücklich, wie gut strukturierte Absätze aussehen können und wie wichtig es ist, sich ausgiebig mit dem Aufbau von Absätzen auseinanderzusetzen. Je besser man darauf achtet, Absätze als Sinneinheiten zu begreifen, die mit Hilfe eines topic sentences gerahmt werden, desto einfacher wird es für Leser:innen, die Inhalte eines Textes und die Argumentation zu verfolgen. Über “parallel construction” kann man zusätzlich zu einem besseren Verständnis von Absätzen beitragen, deren Länge nicht über eine gewisse Zeichenzahl hinausgehen sollte.

4.4 Struktur

Wie die beiden vorherigen Unterkapitel gezeigt haben, besteht ein großer Teil des wissenschaftlichen Schreibens und damit auch des wissenschaftlichen Denkens darin, zu planen und zu strukturieren. So ist Strunk (2000, 15) der Überzeugung, dass die Planung die unabdingbare Voraussetzung ist, um überhaupt schreiben zu können: “The more clearly a writer perceives the shape, the better are the chances of success.” O’Leary (2014, 331) ergänzt, dass die detaillierte Planung eines Textes den Autor:innen dabei hilft, die selbstgesteckten Ziele eines Textes auch wirklich zu erreichen.

Dass die penible Planung von Texten nicht nur bei wissenschaftlichen Arbeiten unabdingbar für deren Erfolg ist, zeigen die beiden folgenden Beispiele. James Slaters (2014) Gesellschaftsroman “Lichtjahre”, über das scheinbare Idyll eines amerikanischen Ehepaares in der Nähe New Yorks, wurde vom Autor nicht einfach nur in fertigen Sätzen zu Papier gebracht, sondern wie Abbildung 4.2 zeigt, penibel geplant. Absatz für Absatz hat der Autor die einzelnen Elemente seines Romans in einem Outline “komponiert”.

Abbildung 4.2: James Salters Outline für seinen Roman “Light Years” (Quelle: Daily Mail)

Ähnlich hat J. K. Rowling (2003) ihren fünften Band der Harry Potter Reihe zuerst mit Hilfe eines Storyboards (siehe Abbildung 4.3) geplant, bevor sie die über 800 Seiten zu Papier gebracht hat.

Abbildung 4.3: J.K. Rowlings Storyboard für “Harry Potter und der Orden des Phönix” Romane (Quelle: Daily Mail)

Ich kann daher allen Autor:innen von wissenschaftlichen Texten nur ausdrücklich empfehlen, ihre Texte mit Hilfe eines Storyboards und/oder eines Outlines zu planen, bevor sie den Text zu Papier bringen bzw. mit Hilfe eines Textverarbeitungsprogramms in Reinschrift schreiben.

Bei einem Storyboard handelt es sich um eine eher grundlegende und flexible Darstellung der zentralen Elemente eines wissenschaftlichen Textes. Ein Storyboard besteht daher zunächst aus einem Thema, der Problemstellung/dem Puzzle, dem Erkenntnisinteresse (idealerweise in Form von erkenntnisleitenden Fragen) und der prognostizierten Antwort auf das Erkenntnisinteresse bzw. den (Hypo)Thesen. Um diese Elemente herum wird in weiterer Folge (und im Laufe des Forschungsprozesses) die detaillierte Argumentation gruppiert und entwickelt, indem neben dem Makroargument auch die Mesoargumente skizzenhaft aufgeführt werden.

Wie ein solches Storyboard aussehen kann, möchte ich anhand des Aufsatzes von Eder, Libiseller, und Schneider (2021) “Contesting counter-terrorism: discourse networks and the politicisation of counter-terrorism in Austria” demonstrieren. Wie in Abbildung 4.4 ersichtlich, werden in einem solchen Storyboard die zentralen Elemente des Textes in Form von Textboxen (oder Kärtchen) festgehalten und deren zentralen Inhalte kurz skizziert. Damit bekommt der Text eine gewisse Struktur und die Autor:innen wissen, in welche Richtung sie ihre Argumentation weiterentwickeln müssen.

Abbildung 4.4: Storyboard am Beispiel des Aufsatzes von Eder, Libiseller, und Schneider (2021)

Es wäre möglich, sich für jedes Kapitel (das in sich geschlossen eine eigene Argumentationsebene – Mesoebene – bildet) ein eigenes Storyboard anzufertigen. Ich rate aber eher dazu, das Storyboard am Beginn des Forschungsprozesses einzusetzen, um hier die Hauptrichtung der Arugmentation (dh das Argument auf der Makrobene) und die wichtisten Punkte für die Vorgehensweise festzuhalten. Für die einzelnen Kapitel empfiehlt es sich eher ein Outline zu entwickeln, wie es in Abbildung 4.5 dargestellt ist. Bei einem solchen Outline wird für jeden Absatz des Textes versucht, die Grundelemente der Argumentation vorzubereiten. Das heißt, die Autor:innen überlegen sich hier, wie sie das Storyboard konkret in einen Text umwandeln können. Das Outline hilft dabei, die einzelnen Absätze zu strukturieren und aufeinander abzustimmen. Das heißt, im Gegensatz zum Storyboard, das vor allem für die Strukturierung der Makroebene und vielleicht auch noch der Mesoebene verwendet wird, zielt das Outline darauf ab, auch die Argumentation auf der Mikroebene zu planen. Idealerweise sollten man bei einem Outline auch schon die eine oder andere Quelle anführen, die man im finalen Text zu zitieren gedenkt.

  1. Absatz: Erkenntnisinteresse (Why do political actors choose certain counter-terrorism policies over others?) – 3 unterschiedliche Schulen in der Literatur – realistische Schule – external pressure & material facts (zB Gregory 2005; Whitaker 2007)
  2. Absatz: rationalistische Schule – balance the political costs (zB Owens and Pelizzo 2010)
  3. Absatz: Ideen, Narrative und Wahrnehmungen (zB Rykkja et al. 2011; Jackson 2007b; Spencer 2012)
  4. Absatz: gap: innenpolitische Dimension und Politisierung bisher kaum behandelt – verwunderlich wegen “domestic turn” (zB Gourevitch 2002; Kaarbo 2015; Krebs 2018)
  5. Absatz: Österrreich als Fallbeispiel – ACF als Theorie (Sabatier 1988) – DNA als Methode (Leifeld 2013) – Thesen: (1) (1) ownership, (2) GAL vs. TAN, (3) anticipated political gains
  6. Absatz: contributions: (1) Literatur zu den innenpolitischen Ursachen von ASP, (2) Politisierung von CT, (3) Fallbeispiel Österreich
  7. Absatz: Grenzen des Beitrags – Einzeltstudie & Erklärungskraft der Variablen – ABER: erster Schritt in neue Richtung
  8. Absatz: Vorgehensweise – (1) Forschungsstand, (2) Forschungsdesign (Methode, Hypothesen, Fallauswahl), (3) Diskussion der Ergebnisse, (4) Zusammenfassung und Forschungsagenda

Abbildung 4.5: Outline am Beispiel des Aufsatzes von Eder, Libiseller, und Schneider (2021)

Die Entwicklung eines Storyboards, vor allem aber eines Outlines, ist sehr ressourcenintensiv. Trotzdem sollten sich Autor:innen die Zeit und Energie dafür nehmen, um wissenschaftliche Texte nicht einfach auf Papier zu bringen, sondern sie zunächst in einem Storyboard und dann in einem Outline ausgiebig zu planen. Hat man diese Zeit nämlich investiert, gestaltet sich der Schreibprozess selber sehr einfach und schnell. Schreibblockaden treten damit seltener auf, weil die Grundstruktur und der schemenhafte Aufbau der einzelnen Elemente durch Storyboard und Outline bereits festgelegt wurden. Es geht daher nur mehr darum, diese Elemente in einen Fließtext zu bringen.

4.5 Zusammenfassung

Wissenschaftliches Schreiben erfordert Planung. Wie ich in diesem Kapitel versucht habe zu zeigen, ist der Weg von einer Problemstellung über das Erkenntnisinteresse hin zu der Beantwortung dieses Erkenntnisinteresses dann erfolgreich, wenn Autor:innen eine klare Vorstellung von den einzelnen Schritten und Phasen dieses Weges haben. Mit Hilfe eines Storyboards und eines Outlines sollte dieses Vorgehen penibel geplant werden. Ziel dabei ist es, die Argumentation (bestehend aus Behauptung, Begründung und Belegen) so logisch kohärent wie möglich aufzubauen, und die einzelnen Absätze so zu strukturieren, dass Leser:innen den Ausführungen der Autor:innen einfach folgen können. Es ist nämlich nicht die Aufgabe der Leser:innen, den roten Faden in einem Text zu finden. Es ist vielmehr die Aufgabe der Autor:innen Texte so zu verfassen, dass dieser rote Faden automatisch sichtbar wird.

Nach diesem Kapitel sollten Leser:innen nun in der Lage sein, sowohl auf der Makro-, Meso- als auch Mikroebene argumentieren zu können. Sie sollten ein Verständnis für den Aufbau von Absätzen haben und wissen, welche Rolle ein “topic sentence” bei Absätzen spielt. Leser:innen sollten darüber hinaus verstehen, was der Unterschied zwischen einem Storyboard und einem Outline ist und wie und wieso man diese Hilfsmittel für die Planung und Strukturierung eines wissenschaftlichen Textes einsetzt.

Weiterführende Informationen

Literaturtipps und Arbeitsmaterialien
  • “Moving from a Topic to a Question to a Working Hypothesis.” in: Turabian, Kate L. 2007. A Manual for Writers of Research Papers, Theses, and Dissertations. 7. ed. Chicago, IL; London: The University of Chicago Press, 12-23.

  • “Planning your Argument.” in: Turabian, Kate L. 2007. A Manual for Writers of Research Papers, Theses, and Dissertations. 7. ed. Chicago, IL; London: The University of Chicago Press, 48-61.

  • Präsentation (pdf)

  • Präsentation (html)

Antwort (b). Wissenschaft ist der Versuch, dem bestehenden Wissen neues Wissen hinzuzufügen. Die Aufgabe der Poblemstellung besteht darin, auf ein Problem (besser noch ‘puzzle’) hinzuweisen, also etwas, das bisher zu wenig (ausreichend) erforscht wurde oder auf einen Umstand zu verweisen, der bisher nicht oder nur unzureichend erklärt wurde. Die Problemstellung hilft also dabei, die Sinnhaftigkeit und den Mehrwert einer wissenschaftlichen Arbeit zu begründen.

Antwort (c). Deskriptive Fragen sind Fragen, die sich mit der Beschreibung von Phänomenen, also der Darstellung von Entwicklungen und Prozessen zufrieden geben. Sie versuchen nicht, den Ursachen und Details dieser Phänomene auf den Grund zu gehen. Sie sind damit erklärenden/verstehenden Fragen untergeordnet aber oft notwendig, um zu deren Verständnis beizutragen.

Antwort (a). Bei wissenschaftlichen Arbeiten versucht man aus einer Problemstellung (einem puzzle) ein Erkenntnisinteresse (am besten in Form einer Forschungsfrage) abzuleiten. Die Hypothese ist dabei die prognostizierte Antwort auf diese Frage. Hypothesen dürfen aber nur so formuliert sein, dass sie sowohl wahrscheinlich zutreffen können, aber auch widerlegt werden können.